In meinem letzten Blogeintrag ging es um die Inhalte der ersten 100 Tage Regierung Merz. In diesem Blog stelle ich einige Kommentare vor. Die sind sich in relativ einig: der Start war holprig. Sie kritisieren vor allem Friedrich Merz und seinen Vize Lars Klingbeil.
Manöver Richtung Kanzlerabbruch
Im Focus kritisiert Gabor Steingart den Kanzler scharf: Israel-Wende, AfD-Eiertanz, Finanzkursbruch: Friedrich Merz sammelt Stolpersteine – und könnte schneller Kanzlerabbrecher werden, als ihm lieb ist.
Von seinen neuen Vorgängern haben nur drei – Kurt Kiesinger, Helmut Kohl und Angela Merkel – ihre Amtszeit regulär beendet. Die anderen sechs mussten vorzeitig die Machtzentrale räumen. Merz könnte der nächste sein. Dabei hat er sich Stolpersteinen selbst vor die Füße gerollt.
Stolperstein 1: Merz' Verhältnis zur AfD ist nicht stabil
Kurz vor der Wahl hat er erklärt, niemals mit AfD gemeinsame Sache zu machen, um kurz danach einen Antrag mit ihnen durchzubekommen. Steingarts treffende Analyse: Beide Positionen, niemals Zusammenarbeit oder Zusammenarbeit im Einzelfall, kann man beziehen. Aber nicht beide Positionen innerhalb von vier Wochen.
Stolperstein 2: Der Markenkern der CDU in der Finanzpolitik wurde verraten
Auch bei der Finanzpolitik hat Merz vor der Wahl betont, dass sie eine steigende Staatsverschuldung ablehnen – um dann nach der Wahl ein gigantisches Paket zu verabschieden.
Nach der Wahl war alles anders. Merz brauchte die SPD und war erkennbar zu jedem Zugeständnis bereit, solange er nur Kanzler werden durfte.
Stolperstein 3: Sein Wertegerüst erwies sich in der Debatte um die Karlsruher Richterin als wackelig
Erst stimmte er der Ernennung von Frauke Brosius-Gersdorf zu, dann zog er die Zustimmung zurück. Die Konservativen in der CDU sind zwar mit dem Ergebnis zufrieden, aber wundern sich, dass es überhaupt zur Nominierung dieser Juristin kommen konnte.
Stolperstein 4: Plötzlich steht auch die bisherige Israel-Loyalität infrage
Erst sagte er Israels Ministerpräsident Netanjahu die bedingungslose Unterstützung zu; dann teilt er mit, bis auf Weiteres keine Ausfuhren von Rüstungsgütern zu genehmigen. Die Außenpolitiker seiner Fraktion sind nicht überzeugt.
Stolperstein 5: Ein Mann zieht durch
Merz neigt dazu, seine Kurskorrektur mit sich selbst zu besprechen. Für das Klima innerhalb der Union sind solche Alleingänge Gift. Er zerstört Vertrauen, das schon vorher nicht ausgeprägt hat. Er hat als Oppositionsführer den ehemaligen Kanzler als Klempner der Macht bezeichnet. Man wünscht sich heute, diese handwerkliche Auszeichnung würde auch auf den neuen Bundeskanzler zutreffen.
Stolperstein 6: Alternative ante portas
Mit Hendrik Wüst stünde eine Alternative bereit: Merz fällt, der Stern von Wüst steigt auf. Das bleibt in der Union nicht unbemerkt.
Fazit
Natürlich kann Merz auch das Urteil der "Financial Times" über sich („overconfident and underprepared“) empört zurückweisen. Aber er könnte auch eine Nacht darüber schlafen. Nicht jede Kritik ist eine Majestätsbeleidigung.
Merz hat ein Führungsproblem
Susanne Beyer beschreibt im SPIEGEL. Die schwarz-rote Koalition hat ihre ersten 100 Tage hinter sich gebracht. Jetzt schon lässt sich sagen, dass es bei beiden Partnern ein Führungsproblem gibt.
Beide Parteichefs haben ein Problem
Nach dem kümmerlichen Ergebnis bei seiner Wiederwahl ist Lars Klingbeil angeschlagen. Auch Friedrich Merz ist umstritten. In der Vergangenheit dauerte es meist länger, bis sich Frust angestaut hatte. Nun sind beide Parteichefs unter Druck. Eine Rolle könnte spielen, dass die Abgeordneten selbstbewusster auf als vorangegangene Generationen auftreten.
Wo bleibt das Fingerspitzengefühl?
Nach 16 Jahre Angela Merkel und 3 Jahren Olaf Scholz ist eine Sehnsucht nach Führung entstanden. Möglicherweise hat diese Sehnsucht dazu geführt, einen Mann aus den 90er Jahren zum CDU-Chef und Kanzlerkandidaten zu machen. Allerdings hat sich seither einiges verändert. Durch soziale Medien kann jeder seine Stimme erheben und bekommt aber auch Kritik schneller mit.
Auch in vielen Unternehmen wird intensiver über Führung nachgedacht.
Die Zwänge des Regierens
Merz hatte vor der Wahl versprochen, was der Union am Herzen liegt: solide Finanzen, eine Reform der Sozialsysteme, die uneingeschränkte Solidarität zu Israel. Nach der Wahl musste er feststellen, dass sich die Zwänge des Regierens nicht nach den Wünschen einer Partei richten.
Er hat daraus die richtigen Konsequenzen gezogen, glaubt aber , dass ihm alle blind folgen. Ein solches Verhalten kann sich kein Kanzler mehr leisten.
Zeitgemäße Mischung
Dabei hatte Merz keine schechtenvoraussetzungen: Die austrahlung eines Bestimmers hat er, nun muss er noch lernen, für seine Anliegen zu werben. Sonst wird es womöglich eine kurze Kanzlerschaft.
Schwarz-rote Koalition: Meint ihr das ernst?
Auch bei Giovanni di Lorenzo überwiegt in einem Kommentar in der ZEIT die Kritik. So viel Zwist ist in der Koalition, fast schon wie zu Ampel-Zeiten. Das können wir uns leider nicht leisten.
Verspielt die Mitte die letzte Chance?
Oft wurde kritisiert, die Merz-Regierung als letzte Chance der Demokratie zu bezeichnen. Dennoch werden die Befürchtungen der Alarmisten übertroffen, Schwarz-Rot wackelt, obwohl die großen Reformen erst im Herbst angegangen werden sollen. Über zwei Drittel der Wähler sind unzufrieden. Diese Mitte ist nicht mehr eine selbstbewusste Repräsentanz der Mehrheit, sondern eine Notgemeinschaft auf Bewährung.
Die SPD war zu Recht erbost, wie die Union Frauke Brosius-Gersdorf verhindert hat. Die Mehrheit der Wählerschaft schaut aber auf die großen Themen wie Sozial- und Rentensysteme, Gesundheit oder Infrastruktur. Die Regierungsparteien haben die Lage nicht ausreichend erkannt.
Merz muss sich entscheiden, ob er Spahn vertraut oder nicht
Merz will die großen Linien im Blick behalten, bedenkt aber nicht die Nebenwirkungen seiner Vorstöße. Die Bedenken gegen Israels Vorgehen und die Entscheidung von merz für einen Lieferstopp hält der Autor für nachvollziehbar, er kritisiert aber, dass er nicht einmal seine wichtigsten Parteifreunde informiert hat. Selbst seinen Fraktionschef hat er nicht informiert.
Merz muss sich entscheiden: Vertraut er ihm: Dann muss er ihn über alles informieren. Oder er tut es nicht. Dann wäre es für Merz und für Spahn besser, sie gingen bald getrennte Wege.
Wen sollten die Menschen nach einem Scheitern noch wählen?
Vom Bestand der Koalition hängt nicht die Zukunft der Demokratie ab. Der Autor warnt aber: Jeder aus der Koalition, der im Moment am Fundament der Regierung rüttelt, und sei es auch nur verbal, muss sich die Frage stellen: Wen sollten die Menschen nach einem Scheitern noch wählen?