Dienstag, 5. August 2025

Ziemlich geschafft

Der SPIEGEL zieht eine Bilanz 10 Jahre nach dem Flüchtlingssummer 2015 und dem berühmten Satz von Angela Merkel „Wir schaffen das“. 

Sie behandeln vier Themenbereiche 

  • Wohnen: Die Not der Unterkunft ist groß 
  • Arbeit: Wir wollten Fachkräfte, und es kamen Menschen 
  • Bildung: Deutsche Sprache, schwere Sprache
  • Sicherheit: Zu viele junge Männer, zu viele Delikte


Historische Entscheidung 

In der Nacht vom 4. auf den 5. September 2015 entschied Angela Merkel, die vielen Menschen nicht aufzuhalten. In den folgenden Monaten reisten mehr als eine Million Asylbewerber ein – eine historische Zahl. Bereits wenige Tage davor hatte mit dem Satz „Wir schaffen das“ in einer Pressekonferenz- In Ihrer Biographie schreibt sie, dass ihr kein Satz so „um die Ohren gehauen worden wie dieser“. Nach einer zunächst fast schon euphorischem Willkommenskultur, änderte sich die Stimmung. 
Zehn Jahre sind seitdem vergangen: Die Zahl der Geflüchteten stieg in dieser Zeit von 750.000 im Jahr 2014 auf 3,3 Millionen Ende 2024. 
Nach einem Vertrag mit der Türkei sank die Zahl, bevor sie 2022 mit dem Angriff auf die Ukraine wieder gestiegen ist. Kein anderer EU-Staat hat seit 2015 so viele Geflüchtete aufgenommen wie Deutschland. Auch in Relation zur Bevölkerungszahl bewegt sich die Bundesrepublik deutlich über dem Durchschnitt.
Die Ausgaben sind hoch: Seit 2016 hat der Bund rund 15 Mrd. für die Versorgung, Unterbringung und die Verfahren ausgegeben. Hinzu kommen Ausgaben der Länder und Kommunen. 

Das Aufnahmeland Deutschland ist erschöpft
Umfragen zeigen, dass die große Mehrheit der Deutschen wünscht, dass Deutschland weniger Geflüchtete aufnimmt. Der Bundestagswahlkamp war geprägt durch eine heftige Migrationsdebatte, nachdem es zu Attentaten von Asylsuchenden gekommen ist. 

Wohnen: Die Not der Unterkunft ist groß 

Bei einer Befragung gaben die nur eine Minderheit an, dass sie noch Notunterkünfte betreiben müssen. Allerdings ist in vielen Orten die allgemeine Wohnungsnot ein großes Problem. Viele Kommunen sehen sich deshalb „stark belastet“
In einigen Städten gibt es immer noch Massenunterkünfte, bei denen Polizeieinsätze zur Tagesordnung gehören. 
Bei der bisherigen Verteilung geht es nach Bevölkerungszahlen und Steueraufkommen, aber nicht, ob es ausreichend Wohnungen, Jobs und Schulen gibt. 
Forscher haben mit „Match’I“ ein neuen Verteilungsschlüssel entwickelt, der für eine bessere Verteilung sorgen könnte. 

Arbeit: Wir wollten Fachkräfte, und es kamen Menschen

Der Artikel berichtet von einigen, die es geschafft haben, aber auch im Bereich Arbeit gibt es Defizite. Rund drei Viertel der Männer, die 2015 hierherkamen, haben eine Arbeit, die meisten in Vollzeit. Bei den Frauen sind aber gerade mal ein Drittel erwerbstätig. Forscher führen dies unter anderem auf traditionelle Rollenbilder zurück. Erschwerend kommt hinzu, dass Kitaplätze und Kinderbetreuung in manchen Regionen rar sind. 
Über 80 % der volljährigen Flüchtlinge konnten keinen beruflichen Abschluss vorweisen. Immerhin ist der Anteil derjenigen ohne Abschluss seither auf 69 % gesunken und der Anteil derer mit Hochschulabschluss auf 20 % gestiegen. 
Unternehmen fordern einen Abbau bürokratischer Hürden. Sie sind neben Sprachbarrieren das größte Hindernis. Als erfolgreich hat sich auch das „Kümmerer-Projekt“ in Baden-Württemberg erweisen, in dem geschulte Mitarbeiter Migranten auch bei der Arbeit begleiten. 
derzeit teil.

Bildung: Deutsche Sprache, schwere Sprache

Die meisten der mehr als 300.000 Kinder und Jugendlichen, die damals mit der großen Fluchtbewegung 2015 kamen, sind längst dem Schulalter entwachsen. Eine bundesweite Erhebung, welche Abschlüsse sie gemacht haben und wie sich ihre Lebenswege entwickelt haben, gibt es nicht.
Studien zeigen, dass zugewanderte Schüler nicht ausreichend gefordert würden. 
Durch Corona und die Zuwanderung aus der Ukraine hat sich die Situation verschärft. 
Ein „Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf“ soll die Situation an Berufsschulen verbessern., viele der oft traumatisierten Teenager bräuchten aber Jahre, um eine Ausbildung beginnen zu können. Vor allem an Berufsschulen fehlen Pädagogen, Experten halten auch die Verteildung der Geflüchteten für ein Problem. So seien die Berufsschulen zum Teil vollkommen überlastet – an den Gymnasien seien aber kaum Geflüchtete aufgenommen worden. Die deutschen Schulen sind nicht erst seit 2015 in der Krise – die Geflüchteten haben das Problem aber noch als entschärft. 
Aber auch bei der Bildung gibt es positive Ansätze: Lerninstrumente, wie die verpflichtende Lesephase oder das Projekt „Schule macht Stat“ 

Sicherheit: Zu viele junge Männer, zu viele Delikte

Nur ein kleiner Teil der Asylsuchenden, die nach Deutschland kamen, Gewalttaten wie die Übergriffe in Köln an Silvester 2015/16 oder der Anschlag am Berliner Breitscheidtplatz prägen das Bild.
In der polizeilichen Kriminalstatistik sind nichtdeutsche Tatverdächtige überrepräsentiert. In Relation zu ihrem Anteil an der Bevölkerung gesehen begehen Afghanen, Iraker, Marokkaner und Syrer die meisten Straftaten.
Die Gründe für die statistische Auffälligkeit sind vielfältig. Faktoren sind ein niedriges Bildungsniveau, Armut, Gewalterfahrung, Machokultur, Traumata. Bei Geflüchteten kommen mehrere dieser Risiken zusammen. Wenn man bedenkt, dass 2024 in der Altersgruppe von 16 bis 29 Jahren fast 80 Prozent der Asylbewerber männlich waren, erklärt das einiges. 
Der Nahostkonflikt befeuert das Radikalisierungspotential – auch bei Rechten. Mit fast 43.000 rechts motivierten Straftaten – so vielen wie in keinem anderen Bereich – gab es ebenfalls einen sprunghaften Anstieg: gut 48 Prozent. Auf das linke Milieu gingen knapp 10.000 zurück, das ist eine Zunahme von rund 28 Prozent.
Insgesamt registrierte die Polizei mehr als 84.000 politisch motivierte Delikte, ein Höchststand, seitdem die Statistik im Jahr 2001 eingeführt wurde. Die extremen Ränder in der Gesellschaft werden stärker, die ideologischen Konflikte heftiger, die Gräben schwerer zu überbrücken. 

Eine freundliche Koexistenz und ein gutes Miteinanderklarkommen 

Migration wurde zum Reizthema und als Instrument der gesellschaftlichen Spaltung. Ist die AfD 2013 noch an der Fünfprozenthürde gescheitert, erreichten sie bei der Bundestagswahl 20 %. Wir sind keine allzeit tolerante, multikulturelle, harmonische Gesellschaft zu werden. Dass wäre auch zu viel verlangt, meinen die Autoren: Eine freundliche Koexistenz, ein gutes Miteinanderklarkommen würde durchaus reichen. Eine grundlegende Reform des Asylsystems wird nur über die europäische Ebene möglich sein. Aktuell geht es um die Vermittlung von Ruhe und Handlungsfähigkeit, wie es Daniel Thym ausdrückt. Die zurückgehenden Zahlen bei Asylanträgen können helfen. 

Gemischte Bilanz 

Die Bilanz fällt gemischt aus: Die vielen Geflüchteten haben Deutschland teils bereichert, teils überfordert. Manche staatlichen Stellen sind am Limit, von der einstigen Willkommenskultur ist nicht viel übrig geblieben. Auch der Optimismus ist abhanden gekommen. Angela Merkels Bilanz sieht positiver aus: Natürlich sind durch die Zuwanderung Probleme entstanden, aber wir haben auch gezeigt, was unser Land kann.«

Migration in meinen Seminaren 

Die Themen Migration und Populismus spielen auch in meinen Seminaren eine große Rolle. Im Bereich Gesellschaft biete ich ein Seminar zum Thema Einwanderungsland Deutschland?. In der Rubrik Europa geht es um das europäische Asylsystem. In der Rubrik Demokratie und Wahlen behandele ich die Auswirkungen auf unsere Demokratie.