Donnerstag, 12. September 2024

Debatte Asylpolitik - Können Zurückweisungen funktionieren?

Nach dem Anschlag in Solingen ist die Debatte über das Asylrecht voll entbrannt. Politiker überschlagen sich mit Forderungen, deren rechtliche und praktische Umsetzung oft fraglich ist. Die Ergebnisse der Wahlen in Thüringen und Sachsen lassen auch Zweifel zu, ob damit der AfD der Wind aus den Segeln genommen werden kann. Es sieht eher nach dem Gegenteil aus – die Menschen wählen das Original. In diesem Blog präsentiere ich mehrere Analysen.

Daniel Tym - Kann der Merz-Plan funktionieren?

Der Migrationsexperte Daniel Tym hat im SPIEGEL und im Verfassungsblog analysiert, ob die Merz-Forderung überhaupt machbar ist. Er sieht in Zurückweisungen den Startschuss für eine hochriskante Phase, in der sich die europäische Asylpolitik neu aufstellt.

Kein sofortiges juristisches Ungemach

Tym sieht in Zurückweisungen einen Abschreckungseffekt, sie signalisiert der Weltöffentlichkeit, dass die Willkommenskultur definitiv vorbei ist.
Die Dublin-Regeln funktionieren schlecht, sie verlieren deshalb aber nicht ihre rechtliche Bindungswirkung. Im Europarecht gilt nicht das völkerrechtliche Prinzip eines „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, wonach ein Land eine Verpflichtung missachten darf, weil andere Länder dasselbe machen. Heftig gestritten wird, ob wirklich eine Notlage vorliegt, die eine Ausnahme zulassen würde. Bisher wurden alle Versuche vom Europäischen Gerichtshof abgelehnt, hier könnte die Bundesregierung aber Fakten schaffen, die durch spätere Urteile nicht mehr zu ändern sind.

Ist das europäische Einigungswerk bedroht?

Der Autor betont die Unterschiede zu 2015. Damals waren Tausende Menschen auf dem Weg, Zurückweisungen hätten die Nachbarländer überfordert. Mittlerweile haben die Länder ihren Grenzschutz intensiviert. Ein Dominoeffekt könnte dazu führen, dass die Länder weitere Anstrengungen unternehmen und dann die ganze EU auf Abschottung setzt.

Neues striktere Asylpolitik?

Regierungen der Nachbarländer sehen deutsches Asylsystem als Magnet. Deshalb würden die Zurückweisungen kurzfristig unangenehm, mittelfristig könnten durch den Abschreckungseffekt weniger Menschen kommen. Merz könnte eine gesamteuropäische Allianz schmieden, die die Asylpolitik noch stärker auf Begrenzung ausrichtet.
Zurückweisungen könnten dazu führen, dass das Recht auf Asyl weiterhin geprüft und gewährt werden, nur nicht in Deutschland.

Wolfgang Janisch: Zurückweisungen – So einfach geht das nicht

Wolfgang Janisch schreibt in der Süddeutschen Zeitung über die Forderung nach Zurückweisungen und betont: So einfach geht das nicht.

Beschleunigtes Verfahren möglich aber schwierig

Wie Tym betont auch Janisch, dass Dublin „eine schlecht funktionierende, aber eben immer noch rechtsgültige EU-Verordnung, die das Verfahren zum Flüchtlingsschutz regelt.“ Es muss also in jedem Fall geklärt werden, wer für das Verfahren zuständig ist. Dies jedoch könnte durchaus durch ein beschleunigtes Verfahren geschehen, wie es auch die Bundesregierung vorsieht. Es bleibt aber das Problem, dass die Länder wie Italien weiter die Rücknahme von Asylbewerber verweigern.

Zurückweisungen ins Verderben?

Janisch zitiert Tym, der Zurückweisungen durchgesetzt könnte, bevor ein Gericht grünes Licht gibt. Die erhoffte Kettenreaktion sieht er aber kritisch: Politisch mag das beabsichtigt sein, um die Anreize für eine Flucht nach Europa zu minimieren. Juristisch wäre dies ein klarer Verstoß gegen das refoulement-Verbot – weil man damit die, die wirklich verfolgt werden, ins Verderben schickt

Sind Zurückweisungen praktisch umsetzbar?

Der SPIEGEL verweist in einem Artikel auf ein weiteres Problem bei der Umsetzung: Die deutsche Außengrenze ist 3876 Kilometer lang. Es könnten nicht alle Grenzübergänge kontrolliert werden, ohne Einschränkungen für Reisen und Verkehr in Kauf zu nehmen. Über Wald- und Feldwege würden weiterhin Menschen ins Land gelangen.

Karoline Meta Beisel: So schürt man falsche Erwartungen

Karoline Meta Beisel kritisiert in der Süddeutschen Zeitung die Forderung nach Zurückweisungen an den Grenzen: „So schürt man falsche Erwartungen. Weder das europäische Recht noch andere EU-Mitgliedstaaten würden solch eine Regelung unterstützen.

Zurückweisungen rechtlich schwierig

Nach den Schengen-Regeln dürfen Menschen nur zurückgewiesen werden, wenn sie nicht um Asyl bitten – aber genau das wollen die meisten Menschen, die sich auf den Weg nach Deutschland machen.
Zwar sieht das deutsche Asylrecht Ausnahmeregelungen für Menschen aus sicheren Drittstaaten – alle deutschen Nachbarstaaten, viele Experten vertreten aber die Auffassung, dass das europäische Recht gilt. Nach dem Dublin-System ist der Staat zuständig, den der Asylbewerber zuerst betritt. Die Länder entziehen sich dieser Aufgabe, in dem sie die Menschen nicht registrieren. Außerdem gibt es Ausnahmen für unbegleitete Jugendliche und Menschen, die bereits Familienangehörige haben. Das bedeutet: Deutsche Behörden müssen also auf jeden Fall prüfen.

Änderungen der europäischen Regeln unrealistisch

Nach vielen Mühen hat sich die Europäische Union auf Änderungen geeinigt. Die anderen Mitgliedstaaten an weiteren Änderungen dürfte äußerst gering sein, außerdem würden die Nachbarländer die Grenzen auch dicht machen. Am Ende der geografischen Verschiebekette liegen die EU-Außenstaaten, die schon heute mangelnde Solidarität bei der Bewältigung der Migration beklagen.

Fundamentale Krise droht

Wenn im deutschen Alleingang umgesetzt würde, was die Union vorschlägt, drohte der EU eine fundamentale Krise. Dabei gälte Deutschland einmal mehr als Egoist, der sich nur an jene Regeln hält, die ihm passen.
Die Autorin betont, dass es ein berechtigtes Ziel ist, irreguläre Migration zu reduzieren – auch die Ampelregierung verfolgt dieses Ziel. Aber Zurückweisungen an der Grenze taugen als schnelle Lösung nicht. Sie zu versprechen, schürt Erwartungen, die die Politik nicht erfüllen kann.